Ausstellung im Klingental hinterfragt unser Verhältnis zur Natur

2022-10-26 14:42:07 By : Mr. raven hu

Im Ausstellungsraum Klingental zeigen jüngere Künstlerinnen und Künstler kritische Positionen zu Natur und Technologie.

Frisch gepflanzte Bäume werden manchmal mit grossen Beuteln umhüllt, die das Wasser aus der Umgebung sammeln und zurückbehalten. Diese grossen Baumtaschen, in Dunkelgrün und aus wetterbeständigem Kunststoff, sollen für eine langanhaltende Bewässerung der Pflanze sorgen und den tiefen Wurzeln beim Wachsen helfen. Vor dem Ausstellungsraum Klingental in Basel hat die Stadtgärtnerei solche robusten PVC-Hüllen um junge Bäumchen angebracht – zum Schutz des zarten Stadtgrüns.

«Rainbag» (Regentasche) nennt sich hier eine Ausstellung mit sieben europäischen Künstlerinnen und Künstlern, die meisten um die 30 Jahre alt. Das lose zusammengesetzte Kollektiv ist davon überzeugt, dass unser Verhältnis zur Natur neu überdacht werden müsse, gerade in einer unsicheren Zeit wie jetzt, in der wir von Klimakrise und Atomwaffen bedroht sind.

Die Lage werde immer unberechenbarer. Unser Umgang mit Regen und Wasser bilde beispielhaft ab, wie wir mit natürlichen Phänomenen umgehen, sagt die Künstlerin Deirdre O’Leary. Doch wie soll das Umdenken stattfinden, welche Instrumente und Technologien brauchen wir dafür? Oder liegt die Rettung in der Natur?

Fein und zerbrechlich wirkt die schwebende «Drachen-Orchidee» der in Basel arbeitenden O’Leary selbst: Ihr filigranes Objekt – ein «Windkörper» zwischen engelhaftem Geschöpf und seltener Pflanze – erinnert auch an einen Propeller oder einen Ventilator.

Aus weissem, dünnem Baumwollstoff gefertigt, bewegt es sich im Raum je nach Luftströmung. Ihre Arbeit spiele auch auf die mythischen Geschichten von Wassernymphen und deren Kraft an, erklärt die Künstlerin. Bewacht und beschützt wird die Orchidee von einer strengen, geheimnisvollen Katzenskulptur von Anka Helfertová.

Die Künstlergruppe, die bereits vor knapp zwei Jahren in Berlin gemeinsam ausgestellt hat, geht von der sogenannten «Carrier-Bag-Theorie» der US-Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin (1929–2018) aus.

Demnach waren die frühesten Instrumente der menschlichen Zivilisation nicht Waffen, sondern Behältnisse – nicht die harten und spitzen Werkzeuge der Männer, sondern die hohlen und tragenden der Frauen. Eine solche alternativ-feministische Technologiegeschichte stellt den kollektiven Lebensunterhalt an den Anfang der Menschheit.

«In diesem Sinn wollten wir das Sammeln, Tragen, Aufnehmen, Behalten und Bewahren erforschen», sagt O’Leary, und das in den Medien Skulptur, Zeichnung, Fotografie, Klang und Text. «Viele natürlichen Kräfte sind noch nicht erschlossen, weil dem Menschen sein objektbezogener Umgang mit der Natur im Wege steht.» Wichtig sei für sie, gemäss der Theorie Le Guins, dass auch die Sprache und das Erzählen mit dem Sammeln zusammenhängen.

Eine Installation der Künstlerin mit dem Musiker Samuel Tschudin behandelt das Wasser als Klangkörper: In einer Wanne kräuselt sich die Flüssigkeit in feinen Linien, die von einem Unterwasser-Lautsprecher erzeugt werden. In den Wellen bilden sich die tropfenden, metallischen Geräusche ab. Gleich daneben hat Shelley Tootell einen umgedrehten, mit Wasser gefüllten Regenschirm hingestellt, in dem Münzen in Kryptowährungen liegen – ein moderner Wunschbrunnen oder eine Opferstätte der Zukunft?

Direkt mit dem Thema Wasser befassen sich auch zwei Fotoarbeiten: Eindrucksvoll, wie sich bei Soon-Hwoa Jeong ein Stück Landstrasse mit Schlaglöchern voller Regenwasser in eine Mondlandschaft oder ein Quallenmeer verwandelt. Feine Reifenspuren von Fahrzeugen weisen auf menschliche Aktivitäten hin, die sich in die weiche, raue Erde eingegraben haben.

Komplexer präsentieren sich die Collagen von Robert Lakomczyk, der technisch perfekte Bilder von Weltraumkameras mit Fotos von sich waschenden Händen kombiniert. Die hohe Auflösung der Satellitenfotos stösst auf den vertrauten Alltag, der die Umrisse weitgehend verschwinden und die Bilder unscharf werden lässt; viele schwarze Stellen bleiben zurück.

Dass sich die Künstler und Künstlerinnen selber als offene Gruppe verstehen, macht ihr Workshop über Gefässe deutlich, den sie vor einigen Tagen mit dem Publikum durchführten. Über ein Dutzend jüngere und ältere Teilnehmende fanden sich ein, wie O’Leary erzählt.

Die Ergebnisse sind jetzt prominent auf einem grossen Netz zu Beginn der Ausstellung zu sehen. Eine der kleinen Arbeiten aus Ton stellt eine runde Schale neben einem eckigen Steinbrocken dar: Die Theorie Le Guins hat hier eine einfache Form gefunden.

«Rainbag» Ausstellungsraum Klingental, Basel. Bis 10. April. Geöffnet: Mi–Fr 15–18 Uhr, Sa/So 13–18 Uhr. www.ausstellungsraum.ch