Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Donnerstag

2022-10-26 14:33:57 By : Ms. Vivian Lv

KEINE FRAGE: Kräftig steigende Strom- und Heizkosten belasten viele Mieterinnen und Mieter in der Hauptstadt.

Dass die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihr Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (beide SPD) daher einen Mietenstopp für alle Wohnungen im Bestand der landeseigenen Unternehmen verkünden, klingt deshalb erst einmal richtig gut. Dennoch hat der Beschluss vom Donnerstag auch einen schalen Beigeschmack. Zum einen profitieren davon nur rund 20 Prozent der Berliner Mieterhaushalte. Und - das ist noch entscheidender - es entlastet vor allem diejenigen, die ohnehin schon deutlich weniger Miete zahlen. Den Berliner Mietern wäre mehr damit geholfen, wenn die Landesregierung ein Entlastungspaket schnürte, das wirklich allen Mietern zugutekommt. Hier muss noch dringend nachgebessert werden.

«Stuttgarter Zeitung» zu Rücktritt von Liz Truss

Was Truss bei ihrer Aktion, die sich zunehmend fanatisch ausnahm, freilich nicht erwartet hatte, war der Widerstand, den die «freien Märkte» ihrem finanzpolitisch unbekümmerten Kurs leisten würden.

Sie setzten ihrer Mission ein Ende.

«Münchner Merkur» zu Hamburger Hafen

Im Innenministerium brütet man nach den Anschlägen auf die Bahn darüber, wie man kritische Infrastruktur vor Übergriffen autoritärer Staaten schützen kann - im Kanzleramt plant man derweil ihren Verkauf.

Offenbar hat Olaf Scholz nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Gegen die teilweise Übernahme des Hamburger Hafens durch ein chinesisches Staatsunternehmen hat das Kanzleramt jedenfalls nichts einzuwenden - anders als alle Fachministerien. (...) Wie schon bei Nord Stream 2 hebeln kurzfristige Geschäftsinteressen den gesunden Menschenverstand aus. Beim ersten Mal konnte man das noch - wohlwollend - naiv nennen, beim zweiten Mal wäre es endgültig verantwortungslos.

«Rzeczpospolita»: Kriegsrecht wird Putin nicht viel bringen

WARSCHAU: Zur Verhängung des Kriegsrechts in den von Russland okkupierten Gebieten der Ukraine durch Präsident Wladimir Putin schreibt die polnische Zeitung «Rzeczpospolita» am Donnerstag:

«Putin hat in den besetzten Gebieten das Kriegsrecht verhängt und in ganz Russland verschiedene Stufen von «Bereitschaft» eingeführt. Aber was wird er davon haben? Alles in allem nur eine Stärkung des Images eines entschlossenen Staatschefs. Eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Sache für ihn, da das gesamte russische Machtsystem an seiner Popularität hängt. Und diese wurde sowohl durch die militärischen Niederlagen in der Ukraine als auch durch die Tatsache, dass der Krieg so lange dauert, in Frage gestellt.

Wird die Ausweitung der Befugnisse der Regionalfürsten dazu beitragen, dass Putin den Krieg gewinnt, wie es wahrscheinlich auch die Absicht der jüngsten Dekrete war? Schließlich sanktionieren sie im ganzen Land eine Art Kriegswirtschaft. Doch wie könnte die russische Wirtschaft den Bedarf der Armee decken, wenn sie nicht in der Lage ist, relativ einfache Drohnen herzustellen? Die Art von Drohnen, die die Russen derzeit zur Beschießung ukrainischer Städte einsetzen, nachdem sie sie zuvor vom Iran gekauft haben. Es stellte sich heraus, dass die Iraner in der Lage waren, eine unkomplizierte Maschine zu bauen. Die Russen können nicht einmal das.»

«Neatkariga Rita Avize»: Premierministerin Truss vor dem Aus

RIGA: Zur Regierungskrise in Großbritannien schreibt die national-konservative lettische Zeitung «Neatkariga Rita Avize» am Donnerstag:

«Würde jetzt in Großbritannien eine Umfrage zum schlechtesten Premierminister aller Zeiten gemacht, ginge der Titel wahrscheinlich mit deutlichem Vorsprung an die derzeitige Regierungschefin Liz Truss. Nur sechs Wochen im Amt hat sie den Briten eine politische und wirtschaftliche Krise eingebrockt, wie es selbst der «Brexit» und die Corona-Pandemie zusammen nicht geschafft haben. Gegenwärtig versucht der neue Finanzminister Jeremy Hunt, den Truss auf Druck konservativer Abgeordneter ernennen musste, die Lage zu retten. Die Tories dagegen zerbrechen sich derweil den Kopf darüber, wie sie die Partei- und Regierungschefin mit so wenig Schaden wie möglich ersetzen können.»

«Washington Post»: Freie Meinungsäußerung verschwindet in der Türkei

WASHINGTON: Zu dem vom türkischen Parlament verabschiedeten «Desinformationsgesetz» schreibt die «Washington Post»:

«Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die einstmals lebhafte freie Presse seines Landes in die Knie gezwungen. In den vergangenen Jahren hat die Regierung Journalisten inhaftiert, und das Regime und ihm nahe stehende Unternehmen haben einst freidenkende Nachrichtenmedien übernommen, so dass Erdogan das, was gedruckt und gesendet wird, im Würgegriff hat. (...)

Das Gesetz (...) zielt eindeutig darauf ab, Kritiker vor den Präsidentenwahlen im kommenden Jahr zum Schweigen zu bringen, und gibt der Regierung neue Mittel zur Kriminalisierung von Journalismus und Online-Aktivitäten an die Hand. (...) Fehlinformationen und Desinformation sind Herausforderungen für jedes Land. Aber das neue türkische Gesetz ist ein Freibrief für die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung. (...) Man kann kein florierendes Land aufbauen, indem man seine freimütigsten Stimmen einsperrt. Das neue Gesetz ist ein weiterer Rückschritt für die Türkei.»

«Le Figaro»: Deutscher Alleingang war schon immer Norm

PARIS: Zur Deckelung der Gaspreise, die Frankreich fordert und Deutschland ablehnt, schreibt die konservative französische Tageszeitung «Le Figaro» am Donnerstag:

«Diese politische Meinungsverschiedenheit wird vielleicht überwunden (...), ist aber nur die Spitze eines immer massiveren Eisbergs: des Alleingangs Berlins, das immer weniger an seinem berühmten «Tandem» mit Frankreich interessiert ist. Dieser deutsche «Soloreiter» war eigentlich schon immer die Norm (...). Wir haben ihn bei jeder der letzten Krisen gesehen: 2015, als (die damalige Bundeskanzlerin) Angela Merkel die EU-Grenzen für syrische Flüchtlinge geöffnet hat, bei den ersten Anzeichen von Covid, als sie sich in ein einsames Rennen um Masken und Impfstoffe geschmissen hat, und letzten Monat, als (Bundeskanzler) Olaf Scholz 200 Milliarden Euro auf den Tisch legte, um deutsche Unternehmen zu schützen, ohne sich abzustimmen und auf die Gefahr hin, damit eine für den Binnenmarkt fatale Wettbewerbsverzerrung zu erzeugen.

In seiner Prager Rede am 30. August, die seiner «europäischen Vision» gewidmet war, hat der Kanzler den französischen Partner kaum genannt. Er zeichnete das Bild eines Europas der 36 Staaten zum Ende des Jahrhunderts, dessen natürliches Zentrum Deutschland wäre. Dieses Projekt nimmt Gestalt an, wenn Berlin vierzehn Länder aus Nord und Ost für das Projekt eines gemeinsamen Luftschutzschirms einlädt und Frankreich ausschließt. Paris scheint diese Verachtung zur Kenntnis genommen zu haben. Es bleibt nur noch, sich dagegen aufzulehnen.»

«Magyar Nemzet»: Gaspreisdeckel kommt Gasembargo gleich

BUDAPEST: Vor dem EU-Gipfel in Brüssel kritisiert die regierungsnahe Budapester Tageszeitung «Magyar Nemzet» die Vorschläge der EU-Kommission für reduzierte Gaspreise:

«Die USA verdienen sich am Flüssiggas verrückt, Russland an den gestiegenen Energiepreisen. (...) Die Europäische Kommission setzt sich leichtfertig über die Realitäten hinweg. Sie legt einen Vorschlag auf den Tisch, der uns die Folgen des (Ukraine-)Krieges noch schmerzhafter wird spüren lassen. Man mag diese Ideen noch so schön und präzise portionieren und verpacken, das Gasembargo bleibt dennoch ein Gasembargo. (...) Wenn die EU einen Höchstpreis für Gas festsetzt, wird Russland keinen einzigen Kubikmeter an die Mitgliedsländer liefern. Denn nichts und niemand kann es (unter solchen Umständen) dazu verpflichten.»

«The Guardian»: Liz Truss ist am Ende

LONDON: Zur Regierungskrise in Großbritannien meint der Londoner «Guardian» am Donnerstag:

«Liz Truss ist am Ende. Ihre Autorität als Premierministerin ist aufgebraucht. Die Regierung, die sie vor sechs Wochen gebildet hat, existiert nicht mehr, und Großbritannien braucht Parlamentswahlen, damit es sich für eine neue entscheiden kann. (...)

Die Vorstellungen von Liz Truss sind dafür verantwortlich, dass fast alle Menschen in Großbritannien ärmer geworden sind. Allerdings hatte sie ihre Ideen über den Sommer hinweg nicht für sich behalten. Es ist die gesamte Konservative Partei, die jetzt die Verantwortung dafür trägt, dass die Glaubwürdigkeit des Vereinigten Königreichs als kreditwürdige Nation ruiniert wird, dass den Haushalten, die sich bereits in Schwierigkeiten befinden, zusätzliche finanzielle Schmerzen zugefügt werden, dass die fiskalischen Grundlagen der öffentlichen Dienste untergraben werden und dass ohnehin schon gefährdete Menschen noch tiefer in die Armut getrieben werden. Truss hat innerhalb kurzer Zeit eine Menge Fehlentscheidungen getroffen. Man darf nicht zulassen, dass sie noch mehr Schaden anrichtet.»

«Dagens Nyheter»: Xi Jinping führt ein China in der Krise

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert am Donnerstag den Kongress der Kommunistischen Partei in China:

«Der gut inszenierte Kongress der Kommunistischen Partei vermittelt das Bild eines geeinten Chinas auf dem Vormarsch. Dieses Bild ist aber großteils fehlerhaft. Die Diktatur in Peking durchleidet in Wirklichkeit ihre tiefste Krise seit den 1980er Jahren. Dafür gibt es vor allem drei Gründe: Die Wirtschaft hat es schwer. Die Reputation im Ausland ist im Keller. Und die Covid-Politik ist ein massiver Misserfolg. In dieser Woche setzt die Diktatur alles daran, ein geeintes China zu zeigen - einen Monolithen, der sich mit derselben unbeugsamen Disziplin bewegt wie die Militärparaden in Peking. Unter der polierten Oberfläche versteckt sich aber eine der dynamischsten Gesellschaften des Planeten. Diese Impulse werden sich nicht für immer unterdrücken lassen. Xi Jinping sitzt nicht so felsenfest im Sattel, wie er den Anschein erwecken möchte.»

«De Standaard»: In der Gaskrise sind die USA der lachende Dritte

BRÜSSEL: Die belgische Zeitung «De Standaard» kommentiert am Donnerstag die Energiekrise in Europa:

«Wenn es eine Lehre gibt, die man aus der aktuellen Krise ziehen kann, dann die, dass der Gasmarkt äußerst komplex ist. Die EU-Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Interessen zu verteidigen und schlagen daher unterschiedliche Eingriffe in den Preisbildungsmechanismus vor. Dies ist kein Zeichen von Ohnmacht, sondern eine Folge der mit dem Thema verbundenen Schwierigkeiten.

Es steht viel auf dem Spiel. Nicht nur die Kaufkraft der Bevölkerung, sondern auch die Versorgungssicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie gegenüber dem Rest der Welt. Denn während Europa im Zentrum der Energiekrise steht, in der Russland eine entscheidende Rolle spielt, sind die USA der lachende Dritte. Nicht allein, dass ihre Energie aufgrund ihrer eigenen Produktion billiger als die Europas ist. Sie verdienen auch noch viel Geld mit dem Export von Flüssiggas, mit dem die durch Russland verursachte Versorgungslücke in Europa geschlossen wird.»

«NZZ»: Haiti braucht militärische Intervention

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» aus der Schweiz kommentiert am Donnerstag die Bandenkriminalität in Haiti:

«Haitis Premierminister Ariel Henry hat Anfang Oktober die Weltgemeinschaft zu einer militärischen Intervention aufgerufen, um sein Land zu retten. Es ist dies zweifellos ein sehr ungewöhnlicher Appell, besonders in einem Land, in dem bisher ausländische Interventionen wenig Erfolg hatten. Doch die Lage im Karibikstaat ist dramatisch. Die Einsicht, dass sich das Land aus eigener Kraft kaum mehr helfen kann, ist durchaus realistisch.

Das Militärische dürfte keine allzu große Herausforderung darstellen. Die Banden sind zwar den haitianischen Sicherheitskräften überlegen, aber eine moderne Armee dürfte mit ihnen kurzen Prozess machen. Eine Motivation zum Eingreifen gibt es insbesondere für die Amerikaner. Haitianer sind Teil der wachsenden Migrationswelle, mit der die USA an ihrer Südgrenze kämpfen.

Halten die gegenwärtigen Zustände in Haiti an, wird dies noch viele mehr ins Exil treiben. Mit einer eng fokussierten Intervention durch die Amerikaner, die UN oder eine regionale multinationale Eingreiftruppe könnte sowohl die tiefe humanitäre Krise in Haiti bekämpft als auch ein neuer Exodus von Flüchtlingen verhindert werden.»

«Público»: Putins Panzer beschleunigen Energiewende

LISSABON: Die portugiesische Zeitung «Público» kommentiert am Donnerstag angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine das Spannungsverhältnis zwischen Klimaschutz und Energiesicherheit:

«Wer in diesem Moment unserer Geschichte gleichzeitig gegen den himmelhohen Anstieg der Energiepreise und für energischere Klimaschutzmaßnahmen ist, will auf zwei Hochzeiten zugleich tanzen. So sehr wir den Planeten lieben: Die Wahrheit ist, dass der Mensch dem Vorrang einräumt, was sein Wohlergehen direkt bedroht. Das ist der Grund, warum Krieg und drohende Stromausfälle Umweltbedenken in den Hintergrund rücken. Auch in Ländern, in denen grüne Parteien regieren wie in Deutschland, werden Kohlekraftwerke wieder hochgefahren und Atomkraftwerke länger am Netz gelassen.

Europa hat gerade eine Lektion gelernt, die es nicht so schnell vergessen wird: Lege nie wieder die grundlegendsten Energiebedürfnisse in die Hände von Diktatoren wie Wladimir Putin. Kohle- und Atomkraftwerke stillzulegen, und sich im Namen der Umwelt vom russischen Regime abhängig zu machen, ist ein Wahnsinn. Aber es gibt auch gute Nachrichten. Mittelfristig können Putins Panzer mehr für den Planeten tun als die Proteste von Greta Thunberg. Eine Rakete ist immer überzeugender als eine Dose Suppe (die Umweltschützer gegen ein Gemälde Vincent van Goghs in London gegossen haben), und ein Krieg dieser Art hat die Macht, die Energiewende zu beschleunigen.»

«Standard»: möglicherweise Neuwahlen in Österreich nötig

WIEN: Nach dem Bekanntwerden neuer Korruptionsvorwürfe gegen den zurückgetretenen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und die konserviative Regierungspartei ÖVP schreibt die österreichische Zeitung «Der Standard»:

«Jetzt stellt sich erneut die Frage: Ist die Koalition unter diesen Umständen und in Kenntnis aller Vorwürfe fortzuführen, oder muss sich der grüne Parteichef und Vizekanzler nicht erneut die Frage stellen: Hat diese Koalition überhaupt noch eine Grundlage?

Bevor ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer derart unter Druck gerät und selbst nicht mehr Herr des Handelns ist, muss er sich auch fragen: Kann und will er unter diesen Umständen weitermachen? Braucht es nicht einen Schlussstrich unter die «Neue Volkspartei» von Sebastian Kurz? Das wäre schmerzhaft, weil Nehammer auf einige Weggefährten verzichten müsste. Aber es wäre für ihn und die Partei ein Befreiungsschlag, sich aus diesem Sumpf zu lösen und den Versuch zu unternehmen, aufrechten Hauptes weiterzugehen. Möglicherweise auch in Richtung Neuwahlen.»